Der Rubikon - Die Vorpubertät aus Sicht der Waldorfpädagogik

Der Rubikon - Die Vorpubertät aus Sicht der Waldorfpädagogik


Bevor meine Tochter in die Waldorfschule gekommen ist, habe ich von dem Rubikon noch nie etwas gehört. Daher war ich besonders Neugierig, als ich spürte, dass es bei meiner Tochter soweit war! Ich fragte mich, was ist der Rubikon? Wie äußert er sich und wie kann ich mein Kind in dieser Entwicklungsphase unterstützen?

Der Rubikon in der Waldorfpädagogik 


Der Rubikon ist ein Entwicklungsschritt aus der Waldorfpädagogik, der zwischen dem 9. bis 10. Lebensjahr beginnt und vielen auch als Vorpubertät bekannt ist. Alle Kinder durchlaufen den Rubikon, egal ob Mädchen oder Junge. Aber nicht jedes Kind bekommt in dieser Zeit eine Krise. Manche durchlaufen ihn auch eher still.

Von der Nachahmung zum ICH 

Wir alle kennen das! Unsere Kinder ahmen uns und ihr Umfeld nach. Alles, was wir tun, schauen sie sich ab. Egal ob es die Hausarbeit ist, das Kochen, das Saubermachen, was wir anziehen, was wir sagen, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten, was wir tun. Kinder sind oftmals kleine Mini Me´s, ein Ebenbild des Unseren. Immer wieder erwischen wir Situationen, in denen wir sehen, wie sie uns nachmachen. Manchmal ist es zum Schmunzeln, manchmal denken wir, oh nein! Da hätte ich doch ein besseres Vorbild sein können. 
Auch wenn die Kinder schon im Kleinkindalter „Ich“ sagen und sich als Person empfinden, so sind sie trotzdem mit ihrem Umfeld weiterhin eng verbunden. Die wenigsten Kinder reflektieren das Handeln ihrer Autoritäten. Es wird einfach nachgeahmt, was die Eltern, die Erzieher, die Lehrer machen und sagen. 

Mit dem Rubikon kommt der Wandel 

Und dann kommt der Rubikon! Das Kind merkt plötzlich, dass es getrennt von seiner Umwelt existiert! Das Kind betrachtet seine Umwelt, seine Mitmenschen, das Handeln und Tun von uns, nun mit einem anderen Blick. Es hinterfragt und zweifelt an bisher selbstverständlichen Dingen. Es trennt sich von der Welt und den Anderen, es existiert allein. Bei einigen Kindern geschieht dies eher unbewusst und fließend. Bei anderen Kindern kommt diese Erkenntnis mit einer viel größeren Kraft und wechselhaften Gefühlen!


Das Kind braucht starke, emphatische und positive Vorbilder 

Das heißt nicht, dass das Kind in diesem Alter keine Vorbilder mehr braucht. Ganz im Gegenteil! Das Kind braucht nun eine besonders starke positive Orientierung. Menschen, deren Handeln und Denken Vorbilder für sie sein können und die sie nicht enttäuschen. Menschen, die ihnen emphatisch gegenüberstehen und im eigenen Gleichgewicht sind. 

Was hat sich beim Rubikon verändert? 

Noch keine Pubertät, aber auch kein kleines Kind mehr. Meine Tochter interessierte sich plötzlich für Politik, für den Klimawandel, den Coronavirus. Sie möchte täglich die (Kinder) Nachrichten anschauen und Zeitung lesen. Sie möchte Tagebuch schreiben und ihre Gedanken zu Papier bringen. Sie hinterfragt alles, reflektiert und bildet sich ihre eigene Meinung, fern von der Unseren. 


Reden und Diskutieren mit Kindern im Rubikon 


Mit ihr zu reden, ist ganz anders, als noch vor zwei Jahren. Es kommen viele Nachfragen, rege Diskussionen, auch zu sehr schwierigen Themen. Sie liest unglaublich viel, nicht nur Kinderbücher, auch Romane und Fachbücher. Sind wir alleine, kommen Fragen auch zu schwierigen und anspruchsvollen Themen. Themen die sich aus Gesprächen mit anderen Kindern im Rubikon ergeben, die sie durch die Nachrichten, Zeitungen und Bücher mitbekommt, die sich selbst bilden.

Und es kommen vermehrt seelische Ängste, weil das Kind die Welt im Rubikon anders wahrnimmt. Das eigene Dasein und das Dasein der Anderen werden bewusster. Auch die Verletzlichkeit und die Sorgen. 


Kinder im Rubikon sind sehr wechselhaft und empfindsam. Vieles beziehen sie auf sich, auf ihre Persönlichkeit. In dieser Zeit wird auch ein wichtiger Grundstein dafür gelegt, wie die eigene Einstellung auf das weitere Leben ist.

Die Welt wird hinterfragt 


Viele Kinder denken in dieser Zeit, sie sind adoptiert. Sie haben Angst, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen Eltern sind. Sie wollen viel über ihre Geburt, ihre ersten Lebensjahre wissen. Meine Tochter interessiert sich auf einmal für ihre Großeltern und deren Tod. Dafür, wie wir Eltern als Kinder und Jugendliche waren. 

Wie wir in verschiedenen Situationen empfunden haben und jetzt noch empfinden. Das Mitgefühl für andere Menschen und Tiere prägt sich in dieser Zeit stark aus. Der Egoismus den Kinder oft haben, dass sie alles zuerst haben wollen, von allem am meisten, sich stark auf sich selbst konzentrieren und mit Frustration nicht umgehen können, vergeht in dieser Zeit, bei einem gut durchlebten Rubikon. 

Mit den Gedanken kommen auch die Gefühle 


In der Schule läuft sie mir nicht mehr freudestrahlend entgegen, wie noch mein sechsjähriger Sohn im Kindergarten. Auch der morgendliche Abschied ist sehr kurz. Oft bin ich eher die blöde Mama, weil ich gerade bei irgendetwas mit ihren Freundinnen störe. Die Emotionen gehen manchmal durch und danach weiß sie gar nicht mehr, warum das so war. Mal ist es das Essen, das ihr plötzlich nicht mehr schmeckt. Mal findet sie ihre komplette Kleidung hässlich, provoziert ihren Bruder und weint, weil sowieso alles gerade total doof ist. Und dann ist sie ein paar Minuten später wieder unglaublich Hilfsbereit, spielt innig mit ihren Geschwistern, möchte beim Einkaufen und im Haushalt helfen und ist das liebste und umgänglichste Kind, das man sich vorstellen kann. 


Zwischen Geschwistern vermitteln 


Nicht immer ist das einfach, besonders wenn ihr jüngerer Bruder dabei ist, für den all diese Themen noch überhaupt nicht wichtig sind und der ihre Wechselhaftigkeit nicht versteht. Als Eltern muss man da ein gesundes Mittelmaß finden, das das eine Kind nicht zu sehr verwirrt und das andere Kind in seinem Wandel unterstützt. 

Dem Alter entsprechend mehr dürfen 


So darf unsere Tochter länger aufbleiben, die 
Kinder-Nachrichten anschauen und lesen, Radio hören, auch "gruseligere" Bücher wie Harry Potter lesen und sich neu ordnen. Oft kuschelt sie sich abends noch mal eng an uns, tauscht sich mit uns über ihre Gedanken und Sorgen aus, braucht wieder viel Nähe, Zuspruch und emotionale Zuwendung, während sie tagsüber verstärkt ihre eigenen Wege geht. 

 

Wie kann ich diesen Entwicklungsschritt unterstützen 


Auffangen kann man ein Kind in dieser schwierigen Zeit mit besonders viel Nähe und emotionalen Beistand. Immer dann, wenn das Kind verbal und auch nonverbal das Bedürfnis dazu äußert. Kinder in dieser Zeit möchten wieder mehr in den Arm genommen werden. Brauchen Zuhörer und extra Zeit zum gemeinsamen Kochen, Backen oder Basteln und Ausflüge, nur mit dem Kind und dem Alter entsprechend. 

Vielen Kindern tut es gut, ihr Kinderzimmer umzugestalten. Die alten Möbel, gegen "Jugendlichere" auszutauschen. Neue Gardinen, eine neue Lampe, neue Bettwäsche und Bilder können schon viel im Raum verändern.

Mit viel emphatischen Austausch über die Gefühle, die Gedanken und schöne gemeinsame Momente. Wir sind alleine ins Museum, ins Café, zum Frühstücken, zum kleinen Stadtbummel und ins Kino gegangen, während mein Mann mit den jüngeren Jungs etwas unternommen hat. Auch Rituale können nun noch eingeführt werden, zum Beispiel jeden Abend mit dem Kind noch ein Spiel spielen, einen Tee zusammen trinken, einen besonderen Vers sagen. Tatsächlich lieben es auch viele Kinder, wenn ihnen in dieser Zeit wieder (ab und zu) vorgelesen wird, obwohl sie schon selbst lesen können. 


 

Der Rubikon an der Waldorfschule 


Auch in der Waldorfschule wird der Rubikon im Unterricht beachtet und die Kinder werden in diesem Entwicklungsschritt unterstützt. In den verschiedenen Fächern gibt es speziellen Unterricht, der darauf aufbaut. Bruchrechnen findet in den staatlichen Schulen beispielsweise in der fünften Klasse statt. In der Waldorfschule schon in der vierten Klasse. So wie der Bruch des Kindes mit seiner Umwelt, denn die Kinder können in dieser Zeit Brüche besonders gut nachvollziehen. Auch beim Rechnen. 

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Alles Liebe, 




Mehr Waldorfthemen findet Ihr hier: 














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  1. Liebe Tanja,
    ein sehr interessanter Artikel, ich habe ihn mit großen Interesse gelesen. Mein Sohnemann ist nun schon 21 Jahre alt, aber ich sehe diese Entwicklungsphasen bei Kindern von Freunden. Ich wusste ebenfalls bisher nicht, dass man diese Phase "Rubikon" nennt. Ich lese gerne über Themen der Waldorfschule und ich glaube immer mehr, das wäre für mich selber damals genau die richtige Schule gewesen...

    Obwohl ich inzwischen Mama eines erwachsenen Kindes bin. lese ich immer wieder gerne bei Dir!

    Dir und Deiner lieben Familie einen schönen Donnerstag,
    herzliche Grüße vom Niederrhein sendet Lony vom Brombeerhäuschen x

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    1. Das freut mich sehr. Ganz liebe Grüße an Dich zurück, Tanja

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  2. Ich finde es unglaublich, dass die Waldorfpädagogik behauptet, dass alle Kinder alle Entwicklungsschritte zur gleichen Zeit machen. Ich dachte früher immer, dass in Waldorfschulen individueller aufs Kind geschaut wird. Aber das ist ja das Gegenteil von individueller Begleitung! Wie schade.

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    1. Meiner Erfahrung nach, wird in der Waldorfpädagogik ganzheitlicher auf das Kind geschaut. Also alle Bereiche werden berücksichtigt und gefördert. Aber die Entwicklung verläuft nun mal nach Phasen, die Pubertät tritt ja auch in einem gewissen Alter ein und nicht bei Kleinkindern. Daher finde ich es toll, dass diesen Phasen solche Beachtung geschenkt wird. Die meisten Menschen kennen den Rubikon ja nicht einmal.

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